Lebensbild

"Lothar Kreyssig" von Konrad Weiß  

Erschienen in: Sächsische Lebensbilder. Bd. 7 - Leipziger Lebensbilder. Der Stadt Leipzig zu ihrer Ersterwähnung vor 1000 Jahren. 1015-2015 - Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2015, S.259-270


Lothar Kreyssig wurde am 30. Oktober 1898 in Flöha geboren. Der Vater, Paul Ferdinand Kreyssig (1860-1928), war dort Kaufmann und Getreidegroßhändler. Die Mutter, Anna Seltmann (1877-1955), stammte aus Auerbach im Vogtland. Sie hatte ihre Eltern früh verloren und war von einer Familie in Leubsdorf bei Chemnitz adoptiert worden. Lothar Kreyssig hat zunächst vier Jahre lang in Flöha die Grundschule besucht und ist dann in Chemnitz aufs Königliche Gymnasium auf dem Kaßberg gegangen. Der junge Kreyssig las gern und viel, schrieb Gedichte, lernte Geige spielen und hat auch später noch viel musiziert. Rückblickend vermisste er vor allem, im Elternhaus nicht religiös erzogen worden zu sein.

Über diese ersten drei Lebensjahrzehnte von Lothar Kreyssig ist wenig überliefert. Er selbst nennt die Zeit, bevor er zum Glauben fand, seine vorgeburtliche Existenz. Ganze zwei Seiten machen Kindheit und Jugendjahre, Kriegsdienst und Brautzeit, Studium und Beginn der Richterlaufbahn in seinen Lebenserinnerungen aus. Es sind aber die radikalen Wandlungen und Umbrüche, die Kreyssigs Leben so aufregend und beispielhaft machen: Vom gleichgültigen Christen zum Mann der Bekennenden Kirche; vom Verächter der Demokratie zum leidenschaftlichen Demokraten; vomJuristen zum Bauern, der biologisch-dynamisch wirtschaftet.

Ende 1916 meldete sich der Gymnasiast Kreyssig, achtzehn Jahre alt geworden, als Kriegsfreiwilliger und legte die Notmatura ab. Mitte Januar 1917 wurde er zu einem sächsischen Artillerieregimenteingezogen. Im Mai kam er ins Feld, zuerst nach Frankreich, dann nach Livland und Estland und auf den Balkan. Über die Kriegszeit hat er später kaum einmal gesprochen.

Unmittelbar nach dem Krieg begann er an der Universität in Leipzig Jura zu studieren. Dazu hatte ihm der Vater geraten. Wäre Lothar Kreyssig seiner Neigung gefolgt, hätte er Philologie studiert. Das Studium betrieb Kreyssig eher nebenher. Vor den Examen ging es zu einem der berühmten Pauker, die es in jeder Universitätsstadt gab, und die es verstanden, den Studenten in ein paar Stunden das Notwendige einzuremsen.

Viel wichtiger für das Studium der Jurisprudenz war damals, dass man einer Korporation angehörte, Korpsstudent war. Kreyssig wurde in die Grimensiaaufgenommen, einer in Leipzig alteingesessenen schlagenden Verbindung, aus der viele der leitenden sächsischen Staatsbeamten kamen. Der forsche und draufgängerische Student brachte es zum Präsiden seiner Korporation und vertrat die Waffenstudenten im AStA, der studentischen Selbstverwaltung. Er war, wie damals viele Studenten, Soldat im Leipziger Zeitfreiwilligenregiment, mit Gewehr und Handgranaten im Kleiderschrank der Studentenbude.

Beim Kapp-Putsch im März 1920 stand Kreyssig auf dem Augustusplatz in Leipzig bewaffnet den demonstrierenden Arbeitern gegenüber. Anderen Tages lagen im Dozentenzimmer des Hörsaals, in dem die Zeitfreiwilligen kampierten, die Gefallenen. Kreyssig blieb unverletzt. Doch kaum waren die Freiwilligen dem Scharmützel entronnen und ins Studium entlassen, hatten sie nichts besseres zu tun, als sich auf der nächsten Mensur zu schlagen. Auch Kreyssig war sein Leben lang durch einen Schmiss auf der linken Wange gezeichnet.Lothar Kreyssig wohnte in Leipzig bei einem Geschäftsfreund seines Vaters in der Gohliser Straße, beim Kaufmann Robert Lederer, der eine kleine Druckerei und einen Zigarrenladen besaß. In dessen Tochter, Johanna Charlotte, Hanna genannt, hatte er sich alsbald verliebt. Die Liebe wuchs beim gemeinsamen Musizieren. Johanna Lederer war bis zum Krieg in eine Internatsschule für höhere Töchter in Lausanne gegangen, war gebildet und künstlerisch interessiert, sprach fließend Französisch und war eine gute Tennisspielerin und Pianistin. Sie war viel nüchterner als der himmelstürmende, überschäumende Student.

Die junge Liebe hat aber offenbar Kreyssigs Studien beflügelt. Am 24. Januar 1922 legte er in Leipzig die erste Staatsprüfung ab. Einen Monat später wurde er im Staatsdienst vereidigt. Dann folgte die Referendarszeit, erst bei den Anwälten Wohrizek und Zanderin Leipzig, die ihm eine ungewöhnliche Befähigung "für jede richterliche, anwaltliche oder sonstige Betätigung auf juristischem Gebiet" bescheinigten, dann an verschiedenen Gerichten in Sachsen. Am 23. November 1923 wurde er an der Juristischen Fakultät der Universität zu Leipzig promoviert. Ein Jahr später bestand er in Dresden die Große Staatsprüfung. Am 17. Februar 1923 wurden Johanna Lederer und Lothar Kreyssig in der Michaeliskirche zu Leipzig getraut. Das junge Paar bezog in Leipzig-Gohlis ein möbliertes Zimmer.

Dieses Jahr 1923 war ein schwieriges Jahr, auch für die Kreyssigs. Das magere Taschengeld, das der Referendar erhielt, war oft schon am nächsten Tag von der Inflation aufgefressen. Das Leben in der Großstadt Leipzig wurde unerträglich teuer. Zuletzt, Johanna war inzwischen schwanger, blieb ihnen nur die Rückkehr nach Flöha, wo das junge Paar im elterlichen Haus eine bescheidene Wohnung bezog.Nach seiner Referendarszeit war Kreyssig als Assessor an das Amtsgericht im benachbarten Augustusburg versetzt worden, dann nach Chemnitz. Dort wurde er 1928 zum Landgerichtsrat ernannt. Mit dem Präsidenten der Strafkammer, Rudolf Ziel, einem überzeugten Demokraten, verband ihn bald eine streitbare Freundschaft. Der um fast zwei Jahrzehnte ältere Gerichtspräsident vertrat eine liberale und sozial orientierte Rechtsauffassung. Er fand Gefallen an dem jungen Richter, obwohl oder vielleicht gerade weil der ihm aus seinem konservativen Rechtsverständnis oft und leidenschaftlich widersprach. Ein anderer Kollege gab im gleichen Jahr, nach dem Tod des Vaters, den entscheidenden Anstoß zur Wandlung: Lothar Kreyssig "gerät über die Bibel". Die nun folgenden Jahre beschreibt er in seinen Erinnerungen als einen Geburtsvorgang, in dem alles bisherige Denken und Sein versunken sei.1931 gründete er in seiner Heimatstadt Flöha eine Notgemeinschaft für Arbeitslose. Angesichts der elementaren Rechtsbrüche, die nach Hitlers Machtergreifung geduldet und begangen werden, erwog er im Frühjahr 1933, aus dem Richteramt auszuscheiden. Doch dann erschien es ihm zu billig, den Willfährigen das Feld kampflos zu überlassen...

(Der vollständigen Text sthet ihnen unter "Download" zur Verfügung.)

Erschienen in: Sächsische Lebensbilder. Bd. 7 -Leipziger Lebensbilder. Der Stadt Leipzig zu ihrer Ersterwähnung vor 1000 Jahren. 1015–2015 –Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2015, S.259-270© Konrad Weiß, 2015